von Prof. Dr. med. Wolfgang Menger
Indikationen für die Meeres Klimatherapie
Die Nordsee hat ein Reizklima, die Ostsee ein abgeschwächtes Reizklima. Die Empfehlungen für die Klimatherapie an einer der Küsten richten sich nach der Empfindlichkeit der Personen und sind nach der Ausprägung der Klimafaktoren, Wind und Konzentration des Meerwassers, zu differenzieren.
Allgemeine Gesichtspunkte
Für die Planung einer Klimatherapie an der See sollten einerseits die Eigenschaften des Insel- oder Küstenklimas berücksichtigt werden. Andererseits müssen beim Patienten außer der Diagnose auch seine Belastungsfähigkit, also seine Kurfähigkeit, beachtet werden. Von beiden hängt der Erfolg der Behandlung ab.
Im Einzelnen ist folgendes zu bedenken: Schutz vor schädlichen Einflüssen. Die Reinheit der Luft ist gewährleistet. Die Anzahl der Pollen ist meist geringer als im Binnenland, mitunter muss aber bei der Auswahl der Jahreszeit und des Seebades auf Pollenflug Rücksicht genommen werden. Spezifischer Faktor. Das maritime Aerosol ist der spezifische Faktor, der bei Seewind auftritt. Sehr hilfreich ist es bei Krankheiten der Atemwege. Bei Hautkrankheiten ist die Voraussetzung für die Wirksamkeit, dass man sich genügend entkleiden kann, damit die Haut ausreichend benetzt wird. Übungsbehandlung Alle körperlichen Funktionen sollen verbessert werden. Voraussetzungen für eine intensive Übungsbehandlung sind: Die gesamte Klimakur soll so gestaltet werden, dass die kräftigende (roborierende) Wirkung zur Geltung kommen kann. Nicht die Diagnose allein sondern auch das Stadium eines Leidens und das Alter des Patienten müssen beachtet werden. Bei Kindern kann eventuell noch eine völlige Wiederherstellung des früheren Normalzustandes (Restitutio ad integrum) erreicht werden. Der Patient muss noch reaktionsfähig sein! Entscheidend ist die Bereitschaft und Fähigkeit eines Körpers, auf klimatische Reize, insbesondere auf den Wind, zu reagieren. Sehr alte und sehr schwer kranke Patienten können eventuell trotz richtiger Indikation für das ausersehende Klima ungeeignet sein. Um vollständige Heilung oder durchgreifende Besserung zu erzielen, müssen Klimakuren rechtzeitig angesetzt werden. Auf keinen Fall darf es sich um einen letzten Versuch handeln.
Während für die Hauptindikationsgebiete, Krankheiten der Atemwege und der Haut, ganzjährig Klimatherapien an der See angezeigt ist, sind innerhalb dieser Krankheitsgruppen bestimmte Einschränkungen zu empfehlen.
Krankheiten der Atemwege
Die Atemwegserkrankungen stellen die wichtigste Indikationsgruppe für die Thalassotherapie dar. Die große Bedeutung dieser Erkrankungen liegt in ihrer Häufigkeit, beim Bronchialasthma außerdem in der krankheitsbedingten Leistungsminderung der Betroffenen. Wichtigster Heilfaktor ist das maritime Aerosol. Ferner spielt der roborierende Einfluß der Klimakur eine besondere Rolle.
Nasenschleimhaut Katarrh (Rhinitis)
Wichtigster Heilfaktor ist das natürliche Inhalatorium, der Aufenthalt in der Brandungszone bei Seewind. Ziel ist die Schleimlösung. Das Seewasser ist eine hypertonische Lösung (höhere Salzkonzentration) und als solche der isotonischen Kochsalzlösung bei Inhalationen weit überlegen. Durch kühle oder kalte Luft kommt es bei der Einatmung durch die Nase zu einem Abschwellen der Nasenschleimhaut. So kann in der kälteren Jahreszeit im Freien die Nasenatmung unbehindert, im Hause durch erneutes Anschwellen der Schleimhaut wieder behindert sein. Erst durch Wiederholungen wird mit einem dauerhaften Erfolg zu rechnen sein. Im Nasenraum wird die eingeatmete Luft auf etwa 36,5 °C aufgewärmt und auf fast 100% relative Feuchte gebracht. Bei verlegter Nasenatmung wird dagegen die ,kalte Außenluft durch den Mund eingeatmet, was sich bei Bronchitis und Asthma besonders störend auswirkt. Unterstützend zum natürlichen Inhalatorium wirken Inhalationen mit Meerwasser.
Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis maxillaris und Sinusitis frontalis)
Nasennebenhöhlen sind mit Schleimhaut ausgekleidete, lufthaltige Hohlräume in der Umgebung der Nase, die über einzelne Gänge mit der Nasenhöhle in Verbindung stehen. Sie sind bei Geburt erst als Anlage vorhanden und entwickeln sich während der ersten Lebensjahre. Die Kieferhöhlen sind bereits im 2. Lebensjahr so groß, dass es ausgehend von der Nase zu einer Entzündung kommen kann. Die Stirnhöhlen dagegen entwickeln sich etwa ab dem 6. Lebensjahr. Entzündungen der Stirnhöhlen spielen daher bei Kindern eine viel geringere Rolle als bei Erwachsenen.
Wiederkehrende eitrige Mandelentzündungen (Rezidivierende purulente Tonsillitiden)
Wiederholt auftretende eitrige Mandelentzündungen sind im Gegensatz zu den virusbedingten Mandelentzündungen relativ selten. Sie können durch eine Klimatherapie an der See nicht gebessert werden. Gegebenenfalls hilft nur eine Mandeloperation (aber nicht vor dem 5. Lebensjahr). Eine anschließende Klimatherapie an der See bringt eine sehr schnelle und gute Stabilisierung, wobei ein 2 wöchiger Abstand zur Operation genügt.
Kehlkopfentzündung (Laryngitis)
An Entzündungen im Bereich des Kehlkopfes leiden besonders Lehrer und Angehörige anderer sprechender Berufe wegen Überlastung der Stimmbänder. Schon der Aufenthalt in der Brandungszone ist eine wirkungsvolle Maßnahme, die durch Inhalationen mit Meerwasser unterstützt werden kann.
Pseudokrupp
Pseudokrupp wird eine akute Erkrankung des Kehlkopfes, vor allem bei Kleinkindern, genannt. Dabei treten ohne vorangegangene Erkrankung am späten Abend oder in der Nacht plötzlich ein bellender Husten, ein ziehendes Geräusch bei der Einatmung und schwere Atemnot auf. Der Pseudokrupp bedarf der sofortigen ärztlichen Behandlung. Meist bestehen dann am nächsten Morgen keine Krankheitszeichen mehr. Nur selten wiederholt sich die Atemnot in der folgenden Nacht. Ähnliche Erscheinungen (Krupp Husten) können auch bei zuvor bestehender Rachenentzündung auftreten, sie werden dann Infektkrupp genannt.
Als akutes Ereignis und bei einmaligem Auftreten stellen Pseudokrupp und Infektkrupp keine Anzeichen für eine Klimatherapie dar. Wiederholte Pseudokrupp-Anfälle können aber Vorboten eines Bronchialasthmas sein. Kinder mit Neigung zum Krupp Husten können durch einen Aufenthalt an der See eine Verminderung ihrer Anfallsneigung erfahren.
Keuchhusten (Pertussis)
Bei Keuchhusten dauert die Zeit von der Ansteckung bis zum Ausbruch des Hustens (Inkubationszeit) 2 bis 3 Wochen. Der Husten dauert etwa 6 Wochen. Durch Behandlung mit einem Antibiotikum kann der Verlauf nicht, wohl aber die Dauer der Ansteckungsgefahr und der schweren Hustenanfälle auf 2 bis 3 Wochen abgekürzt werden.
Die akute Erkrankung, insbesondere während der Zeit der Ansteckungsgefahr, ist keine Anzeige für die Klimatherapie. Nach dem Höhepunkt des Keuchhustens leistet die Klimatherapie an der See zur Überwindung von hartnäckigen Restbefunden und Folgen wie Husten und Bronchitis jedoch einen wichtigen Dienst. Strandspaziergänge und Meerwasser Inhalationen sowie die Einflüsse des Seeklimas unterstützen das Abklingen eines anhaltenden Hustens und die Kräftigung während der Genesung.
Bronchialschleimhautentzündung (Bronchitis)
Eine akute Bronchitis mit Husten liegt vor allem bei Kindern vor, wenn nicht ein Reiz im Rachen oder im Kehlkopf auslösend ist. Obstruktive (einengende) Bronchitis, vor allem bei Säuglingen, kann durch bestimmte Viruserkrankungen bei übererregbarem (hyperreagiblem) Bronchialsystem verursacht werden. Rezidivierende (wiederkehrende) Bronchitis ist typisch für das Kindesalter. Chronische Bronchitis ist vor allem bei Erwachsenen mit sog. Raucherhusten zu erwarten. Jeder länger als 2 Monate bestehende Husten erfordert den sorgfältigen Ausschluß eines Lungenkrebses (Lungenkarzinom).
Bronchopneumonie (Lungenentzündung) ist eine fieberhafte Erkrankung der Aternwege mit eitrigem Auswurf.
Die rezidivierende Bronchitis und die chronische Bronchitis sind (nach intensiver internistischer Abklärung) Indikationen für die Klimatherapie. Wiederkehrende (rezidivierende) Katarrhe der Bronchialschleimhaut gehören in den Rahmen der Infektanfälligkeit. Bei der schweren Form handelt es sich um wiederkehrende eitrige Entzündungen. Von chronisch spricht man, wenn 4 Monate lang innerhalb von 2 Jahren Befunde nachweisbar sind. Der Aufenthalt in der Brandungszone ist hilfreich, wobei durchaus Husten auftreten darf. Das kann ein Zeichen dafür sein, dass durch die salzhaltige, eingeatmete Luft eine erwünschte Schleimlösung in Gang kommt, wobei der Schleim abgehustet werden muss. Kleine Kinder verschlucken den Schleim, was unbedenklich ist. Die Schleimlösung kann durch Inhalationen mit Meerwasser unterstützt werden. Die Abhärtung ist sehr wichtig; sie darf aber erst dann einsetzen, wenn die akuten Krankheitserscheinungen ausreichend abgeklungen sind.
Bronchialasthma (Asthma bronchiale)
Die wichtigste Indikation für die Meeres Klimatherapie, speziell auf den Nordseeinseln, ist das Bronchialasthma (Asthma bronchiale). Es handelt sich oft um besonders schwer kranke Patienten. Man unterscheidet heute zwischen Infektasthma und allergischem Asthma, wobei sowohl die Behandlung als auch die Vorhersage (Prognose) Unterschiede aufweisen. Bronchialasthma beginnt meist bei familiärer Belastung oft schon im 2. Lebensjahr mit häufig wiederkehrenden Entzündungen der Atemwege. Allergische Reaktionen kommen erst später, etwa mit 3 Jahren, dazu und verringern sich meist nach dem 4. Lebensjahrzehnt. Ist das Krankheitsbild dann noch ausgeprägt, ist fast immer eine chronische eitrige Bronchitis in den Vordergrund getreten. Bei Kindern stehen sehr plötzliche, manchmal äußerst schwere Atemnotanfälle im Vordergrund. Eine Reihe von Faktoren wirken sich oft in Kombination ungünstig aus, so dass die Ursache einer akuten Verschlechterung schwer erkennbar sein kann. Fieberhafte Virusinfekte verstärken die chronische Entzündung der Bronchialschleimhaut und deren Schleimabsonderung. Hier gilt ebenso das für Bronchitis Beschriebene: Die Beseitigung des Schleimes ist vordringlich, Brandungszone und Inhalationen mit Meerwasser erleichtern die Befreiung vom Auswurf (Sputum). Für das allergische Asthma gelten ebenso die Hinweise im Kapitel über Heuschnupfen. Die Nordseeinseln sind danach am günstigsten. Junge Patienten zwischen 10 und 16 Jahren mit allergischem Asthma hatten in den folgenden 12 Monaten nach der stationären Behandlung den günstigsten Verlauf, wenn die Klimatherapie im Winter erfolgte, da das unspezifische Immunsystem am besten gestärkt werden konnte. Im Binnenland sind Luftverunreinigungen wie Smog (Rauch und Nebel) besonders gefürchtet. Das entfällt an der Küste und auf den Inseln. Nebel ist selten und beeinträchtigt auch Asthmatiker in der Regel nicht, da die feuchte Luft keine Schadstoffe enthält. Ein Teil der Asthmatiker reagiert mit einem Bronchialkrampf (Bronchospasmus) auf Anstrengung, d. h. bei verstärkter Aterntätigkeit Unter den günstigsten klimatischen Bedingungen sind jedoch immer wieder auch schwerkranke Asthmatiker zu körperlichen Anstrengungen fähig, die ihnen am Heimatort unmöglich waren. Ein vorsichtiges systematisches körperliches Training ist angezeigt.
Psychische Einflüsse bei Bronchialasthma werden diskutiert, doch oft falsch eingeordnet. Das Asthma hat nicht seelische Ursachen, sondern diese sind eine sekundäre Erscheinung. Es handelt sich also um einen somatopsychischen Zusammenhang. Das körperliche Leiden wirkt sich auf die psychische Situation aus, da das Leben in der Gemeinschaft und die Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind. Das Nordseeklima hat einen hervorragenden Einfluss auf das seelische Befinden, denn Wohlbefinden, Selbstvertrauen, Selbständigkeit und Leistungsfähigkeit bessern sich schnell. Die Kontaktscheu vermindert sich besonders unter Leidensgenossen.
Überbehütung (Overprotection) ist bei asthmakranken Kindern häufig. Sie kann bei Kindern im Schulalter gerade durch eine vorübergehende Trennung des Kindes von der Mutter abgebaut werden. Die Mutter braucht selbst oft dringend eine körperliche und seelische Erholung, um danach ihrem Kinde und ihrer Familie wieder gerecht werden zu können.
Zum Therapieverlauf bei Asthmatikern ist auf eine nicht seltene Reaktion hinzuweisen. Die Empfehlung: "Gehen Sie möglichst viel an den Strand", muss in den ersten Tagen der Wetterlage angepasst werden. Gerade am Strand kann es zur Lösung sehr alten Schleims mit Behinderung der Atmung kommen. Die Situation wird dadurch verstärkt, dass die Bronchien in der Nacht (der Phase der Ruhe und Erholung) bei Asthmatikern wie bei anderen Menschen enggestellt sind. Da kann es zum Asthma Anfall kommen. Bei meist bereits lockerem Husten ist die Entleerung des Auswurfs (Sputums) dringend erforderlich.
Das Kälte Asthma ist eine besondere Form des Asthmas und betrifft etwa die Hälfte aller Asthmatiker. Bei einem Spaziergang unter winterlichen Bedingungen kann es zu einer Einengung im Bronchialbaum (Kälte Bronchospasmus) kommen. Das Ausmaß hängt von der Temperatur ab und kann u. U. in Abhängigkeit von der Ausgangslage zu einem Asthma Anfall führen. Eigene Untersuchungen haben eine bemerkenswerte Reaktion aufgedeckt: Nach einem kurzen Winter Spaziergang war es bei der Hälfte von jugendlichen Asthmatikerinnen zu einem von der Kälte abhängigen Bronchospasmus gekommen. Dieser wurde durch die Einwirkung der z. T. großen Kälte auf der Haut (Bekleidung nur Badeanzug oder Bikini) aufgehoben. Die Kälte wirkte über die nackte Haut und das unbewusste (vegetative) Nervensystem wie eine krampflösende Inhalation oder ein Spray. Niedrige Temperaturen mit zusätzlicher Abkühlung durch den Wind sind nach Eingewöhnung also ein hervorragendes Heilmittel. Beim Asthma kann man fünf Krankheitskomponenten unterscheiden, die das Leiden jedes Patienten kennzeichnen und vorstehend besprochen wurden. Die Schonfaktoren und der Reizfaktor Wind wirken auf diese Krankheitskomponenten mehr oder weniger intensiv.
Die besten Behandlungserfolge erreicht man durch die planmäßige Kombination von Karenz (Meidung der Schädlichkeiten), Klimatherapie und physikalischer Therapie. Krankheitskomponenten und Therapieform beeinflussen einander unterschiedlich stark, so daß danach die Gesamttherapie gestaltet werden kann.
Zumal bei Kindern sollte einer Kortikoid Dauertherapie mit Tabletten (heute allerdings nur noch selten verordnet) immer eine Klimatherapie vorgezogen werden. Die Erkrankungen an Asthma sind in den letzten Jahren nicht seltener geworden. Das Streben nach Behaglichkeit mit Verweichlichung und Bewegungsmangel ist daran sicher nicht unbeteiligt.
Hautkrankheiten
Nach den Krankheiten der Atemwege bilden diejenigen der Haut die zweite große Gruppe, bei denen an der See (im besonderen an der Nordsee) mit sehr guten Behandlungserfolgen gerechnet werden darf. Das endogene Ekzem (Neurodermitis constitutionalis) und die Schuppenflechte (Psoriasis vulgaris), ferner die Akne der Jugendlichen (Akne juvenilis) kommen in Betracht (Abb. 10 3). Da die Sonnenstrahlung der wichtigste Heilfaktor ist, sind für Schüler die Sommerferien am geeignetsten. Damit die Therapie möglichst intensiv wird, sollen sie schnell das richtige Vorgehen erlernen. Bei einer Reihe weiterer, seltener und schwerer Hautkrankheiten sind spezielle und umfangreiche Erfahrungen für die Behandlung notwendig. In Betracht kommt daher die fachärztliche oder stationäre Behandlung in einer Hautklinik oder der Fachabteilung einer Klinik, von denen es auf den großen Inseln mehrere gibt. Dort kann bei Vorlage der Befunde angefragt werden, ob eine Klimatherapie an der See ratsam ist.
Neurodermitis
Bei Patienten ist heute die Bezeichnung Neurodermitis allgemein üblich. Noch vor einigen Jahren wurde dieses chronische Leiden meist als endogenes oder konstitutionelles Ekzem bezeichnet. Etwa die Hälfte der Patienten leidet gleichzeitig an Bronchialasthma oder Heuschnupfen. Zum atopischen Komplex gehört auch die Nahrungsmittel Allergie, die bei Neurodermitikern, insbesondere bei Kindern, oft eine große Rolle spielt. Die Erscheinungsform ist altersabhängig. Klimatherapie muss also den Befunden angepasst werden. Ambulante Klimatherapie an der Nordsee ist für Säuglinge keineswegs empfehlenswert, da mit starken, vorübergehenden Verschlechterungen (Exazerbationen) gerechnet werden muss. Auch bei Kleinkindern treten in den ersten Tagen sehr leicht schwere Verschlechterungen bei ambulanten Behandlungsversuchen auf, wenn die Eltern nicht eingehend beraten werden und nicht größte Vorsicht vom ersten Tage an walten lassen. Bei Schulkindern ist der Befund oft schon wesentlich verändert, da sich die Haut ab etwa 4 Jahren stabilisiert und straffer und trockener wird. Die Neurodermitis wird den Befunden bei Erwachsenen langsam ähnlicher und befällt meist nur noch die großen Gelenke und nicht mehr ganze Hautbezirke. Die drei Klimakomplexe sind in ihrer Wirkung auf die Neuroderrnitis gut zu unterscheiden und sollten miteinander kombiniert angewendet werden (Tab. 10 6):
1. Der spezifische Komplex, das maritime Aerosol, wirkt sich in der Brandungszone aus, wenn die salzhaltige feuchte Luft die Haut erreichen kann. Dafür muss die Haut weitgehend unbekleidet sein. Bei langen Wanderungen in der Brandungszone bleiben fast 2 g Meersalz auf der Haut haften. Noch stärker ist natürlich die Wirkung von Seebädern. Der auf der Haut verbleibende Salzmantel ist ganz ähnlich und hat einen schuppenlösenden (keratolytischen) Effekt, die Haut wird dadurch glatter. Warme Seewasserwannenbäder im Kurmittelhaus sind eine beliebte unterstützende Maßnahme mit gleichem Effekt. Dabei darf die Wassertemperatur keinesfalls zu hoch sein: Sie darf nicht angenehm warm, sondern muss mit 32 'C eher kühl sein, bei jungen Kindern höchstens bis 35 °C, da sonst die Entzündung verstärkt würde. Diese Bäder erfolgen meist 3mal wöchentlich.
2. Der Temperatur Feuchte Komplex (thermisch hygrisch) hat eine ganz andere, sehr wichtige, aber kaum bekannte Wirkung. Neurodermitiker leiden an einer gestörten Hautdurchblutung, typisch ist daher die blasse Haut. Diese wird auch an der weißen Hautschrift (Den nographismus) deutlich. Beim Kratzen z. B. am Rücken folgt nach Sekunden ein schmaler weißer Streifen, der manchmal über eine Minute bestehen bleibt. So äußert sich die mangelhafte Anpassungsfähigkeit der Haut mit Neigung zur Engstellung der Blutgefäße (Hyporegulation mit Neigung zur Vasokonstriktion nach Korting). Diese Starre der Hautdurchblutung wird durch den Wind, insbesondere den böigen Wind (Windstöße), gelockert. Diese Voraussetzung für einen Heilungsprozess ist an der Nordsee oder im Norden der Insel Rügen anzutreffen. Nach erheblichem Kältereiz kann eine verstärkte Hautdurchblutung (reaktive Hyperämie) als Hinweis auf die allmähliche Lösung der Gefäßstarre auftreten. Bei Säuglingen und Kleinkindern mit Neurodermitis ist die Hautdurchblutung im Sinne einer Entzündung oft stark erhöht. Im Kindesalter und bei vielen erwachsenen Patienten liegt häufiger eine gedrosselte Durchblutung vor. Wie verhält man sich bei der Thalassotherapie ? Folgende typische Reaktionsweise tritt regelmäßig in Erscheinung: Der Einfluss der Meeresluft wirkt nicht immer in dieselbe Richtung, sondern abhängig vom Ausgangswert. Man nennt das den "Normalisierungseffekt". Eine zu starke Durchblutung wird gedrosselt, eine zu geringe gesteigert. Im Organismus besteht die Tendenz, den Normalzustand wiederherzustellen. Dabei sollen die Reize richtig und bei Verträglichkeit nicht zu niedrig dosiert werden.
3. Der dritte Komplex, die Ultraviolett Strahlung, steigert Durchblutung und Heilungstendenz der Haut ausgezeichnet. Die tiefstehende Sonne fördert mit ihrem relativ hohen UV A Anteil gegenüber dem UV B Licht die Durchblutung. Kein Heilmittel wirkt bei richtiger Anwendung zuverlässiger als die Sonnenstrahlung. Manchmal werden Sonnenbäder nicht gut vertragen; meist liegt das am falschen Vorgehen. Je stärker die Entzündung, desto mehr Geduld, d. h. Zurückhaltung mit Wind und Sonne ist während der ersten Tage erforderlich. Bei Neurodermitikern bräunt die Haut schlechter als bei Hautgesunden. Entzündete Partien, z. B. in den Ellenbeugen, können abheilen, aber im Vergleich mit der etwas gebräunten umgebenden Haut blass bleiben. Die Bräunung gleicht sich erst nach einigen Jahren an. Das Nordseeklima steigert die Ausschüttung von Kortison aus der Nebennierenrinde, wodurch die verblüffenden Erfolge schon während der ersten zwei Wochen zu erklären sind.
Soll das Meerwasser nach dem Baden mit Süßwasser unter der Brause abgespült werden?
Auf diese Frage ist keine einheitliche Antwort angebracht. Das Salzwasser brennt zunächst auf der Haut. "Ich weiß, dass es nach dem Bad brennt, aber ich weiß auch, dass es hilft, deshalb halte ich es aus." Für diese Einsicht und diesen Willen ist eine gewisse Reife Voraussetzung. Also nur abspülen, wenn es subjektiv unvermeidlich ist, sonst ruhig das Salzwasser auf der Haut antrocknen lassen. Immer jedoch den nassen Badeanzug wechseln, da sonst Auskühlung und Hautreizung auftreten. Salzwasser trocknet die Haut aus, falls erforderlich muss sie daher gefettet werden.
Schlickpackungen sind in manchen Nordseebädern möglich. Sie können bei Neurodermitis mit Erfolg angewendet werden, dürfen jedoch nicht wie sonst üblich eine Temperatur von 42 'C haben, da eine erhebliche Verschlechterung der Entzündung eintreten würde. Vielmehr muss die Schlickpackung die Temperatur der Haut von 32 'C haben. Schlick löst stärker noch als das Meerwasser Verhornung und Schuppen der Haut und fördert die Heilung der Hautrisse (Rhagaden).
Die Bezeichnung Neurodermitis weist auf den starken Einfluss des unbewussten (vegetativen oder autonomen) Nervensystems hin. So unterstützt die Normalisierung des Tagesablaufes alle übrigen Maßnahmen, gemeint ist die Mittagsruhe! Dadurch kann am Vormittag und am Nachmittag intensiv Klimatherapie betrieben werden. Erstaunlicherweise beeinträchtigt die Mittagsruhe nicht den Nachtschlaf, sondern ganz im Gegenteil: der sonst so stark gestörte Nachtschlaf wird ruhiger und erholsamer.
Schuppenflechte (Psoriasis vulgaris)
Die Schuppenflechte (Psoriasis vulgaris) ist eine häufige, chronische Hautkrankheit, an der ungefähr 2% der Bevölkerung leiden. Bei Kindern unter 10 Jahren ist sie noch selten. Die Anlage wird meist vererbt, das Krankheitsbild wird durch die Mitwirkung von äußeren Auslösern erkennbar (manifest); Belastungen jeder Art spielen eine ungünstige Rolle. Bei der Schuppenflechte sind am ganzen Körper Hautpartien in sehr unterschiedlicher Größe und Form mit dicken, silbergrauen Schuppen bedeckt. Besonders charakteristisch ist der Befall der Ellenbogen Streckseite. Oft weiß die Umgebung des Patienten nichts von seinem Leiden, denn dieses fällt meist weniger auf als die Neurodermitis. Die Patienten tun alles, um befallene Hautpartien zu verbergen. Dieser Gedanke quält sie sehr.
Seltene, schwere Verlaufsformen sollen vom Facharzt behandelt werden, so die Psoriasis pustulosa und die Psoriasis arthropatica. Die meisten Patienten jedoch behandeln sich an der See allein. Die Erfolg versprechende, systematische Anwendung der Thalassotherapie weicht von der bei anderen Hautkrankheiten ab.
Dabei sind 2 Phasen zu unterscheiden:
Schuppenlösung und Bekämpfung der darunter sichtbar werdenden Entzündung.
Phase 1 - Schuppenlösung
Das Ablösen der Schuppen (Keratolyse) wird durch das Nordseewasser gefördert. Der Salzgehalt des Ostseewassers ist niedriger, so dass ein geringerer Erfolg zu erwarten ist. Durch ein Seebad werden die Schuppenbezirke der Haut eingeweicht, die oberste Hornschicht der Haut aufgelockert, durchsichtiger (transparenter), und für die UV B Strahlung leichter durchlässig. Dieser Vorgang darf eventuell durch Einreiben mit dem feinkömigen weißen Sand am Strand unterstützt werden. Nach der Schuppenlösung erscheinen scharf begrenzte rote Hautbezirke.
Phase 2 - Sonnenbestrahlung
Sonnenbestrahlung mit starkem Ultraviolett B Anteil ist die zweite Phase. Für einen guten Erfolg muss sie verhältnismäßig intensiv sein. Daher muss streng nach den Regeln der Heliotherapie vorgegangen werden. Anders als sonst üblich soll bei der Schuppenflechte die Sonnenbestrahlung sehr intensiv und am Abend eine Rötung der Haut (Erythem) festzustellen sein, die am nächsten Morgen entgegen der allgemeinen Regel der Heliotherapie noch nicht abgeklungen ist. Ein Sonnenbrand muss selbstverständlich vermieden werden. Nach der üblichen Progression erfolgt die Steigerung der Bestrahlungsdauer von Tag zu Tag um 30% bei gleichen Verhältnissen wie Tageszeit und Bewölkung.
Die Ausdehnung der Schuppenflechte ist bei verschiedenen Patienten recht unterschiedlich. Die betroffenen Körperpartien müssen möglichst gleichmäßig und annähernd im rechten Winkel getroffen werden. Das ist bei Strandwanderungen oder besser bei Ballspiel o. ä. am weiten Strand der Inseln ohne Horizontabschirmung ausgezeichnet möglich. Es gibt den Begriff der "Badehosen Psoriasis". Jeder Hautbezirk, der durch Textilien verdeckt bleibt, entgeht der Heliotherapie. Dieser Befund zeigt, wie der Patient sich richtig verhalten kann.
Bei der Psoriasis hat sich ein sonst nicht empfehlenswertes Vorgehen bewährt: mehrfaches Benässen des ganzen Körpers durch kurzes Untertauchen im Meer, ohne danach abzutrocknen, und anschließendes Sonnenbad verstärken die erwünschte Wirkung. Für dieses Vorgehen ist Erfahrung erforderlich, um einen Sonnenbrand zu vermeiden. Die zunächst glatten, intensiv roten Flächen blassen innerhalb von Tagen ab, hellere Bezirke bleiben zurück.
Die Ultraviolett B Strahlung ist zwar ab Anfang Mai schon recht wirksam, meistens ist es aber noch kühl. Die Gewöhnung an Ultraviolettstrahlung und Abkühlungsreize kann dann gleichzeitig erfolgen. An der Nordsee ist bei durchschnittlicher Witterung eine ausreichend intensive Heliotherapie bis etwa Ende August möglich. Im September sind für die benötigte Bestrahlungsdauer die Temperaturen zu niedrig.
Schlickpackungen werden mit sehr gutem Erfolg bei der Behandlung der Psoriasis eingesetzt, da sie die Verhornung der Oberschicht lösen. Außerdem wird die Durchblutung der Haut angeregt, sie wird weicher, geschmeidiger, elastischer und verliert ihren Reizzustand. An kleinen Verletzungen werden die Heilungsvorgänge gefördert.
Bei der Psoriasis sollte die Thalassotherapie jährlich wiederholt werden. Dadurch lässt sich meist eine nachhaltige, dauerhafte und weitgehende Erscheinungsfreiheit erreichen. Auch die seltene Psoriasis pustulosa ist gut zu beeinflussen, fachärztliche Betreuung aber geboten. Bei der Psoriasis arthropatica können in den Sommermonaten, die allein für die Therapie sinnvoll sind, ebenfalls gute Erfolge durch Entlastung der Gelenke erwartet werden.
Akne der Jugendlichen (Akne juvenilis)
Die Akne im Gesicht, an Stirn, Rücken und Brust ist bei manchen Jugendlichen so ausgeprägt, dass sie sich entstellt und deprimiert fühlen. Es gibt viele, doch kein völlig befriedigendes Mittel zur Bekämpfung: Ernährung und Regulierung des Stuhlgangs, Hautpflege und medizinische Kosmetik und medikamentöse Versuche. Ergänzend zu anderen Maßnahmen kann die Thalassotherapie in den strahlungsreichen Frühjahrs und Sommermonaten einen Beitrag leisten. Wie bei der Schuppenflechte erfolgt die Behandlung in 2 Phasen: Lösen der Verhornung und Anregung von Selbstheilungsvorgängen durch Ultraviolett B Sonnenbestrahlung. Mit dem Meerwasser löst sich die Verhornung an der Öffnung der Ausführungsgänge der Talgdrüsen, eine nachfolgende intensive Sonnenbestrahlung trägt zum Heilungsvorgang bei. Durch das Anfeuchten der Haut mit Meerwasser kann die Hornschicht aufgelockert und gelöst und der Effekt der Sonnenstrahlung verstärkt werden. Bei der beabsichtigten intensiven Bestrahlung muss selbstverständlich ein Sonnenbrand vermieden werden. Sonnenschutzmittel sind zu vermeiden, da sie den Heilungsvorgang stören und Entzündungen der Haut verursachen können. Diese thalassotherapeutischen Maßnahmen sollten jährlich zwischen Mai und August wiederholt werden. Nach einigen Jahren kann die Akne überwunden werden und abheilen.
Herz und Kreislaufkrankheiten
Patienten sind nach einem Herzinfarkt nur eingeschränkt belastbar. Während früher absolute Schonung empfohlen wurde, ist in den letzten Jahrzehnten ein vollkommener Wandel der Therapie mit genau dosierter Übungsbehandlung eingetreten. Diese kann im abgeschwächten Reizklima bei Spaziergängen auf ebener Strecke mit großem Erfolg durchgeführt werden. Solche Voraussetzungen bietet die Ostsee, wo in Fachkliniken Thalassotherapie mit bestem Erfolg praktiziert wird. Nach Abschluss der Akutbehandlung wegen Herzinfarkt oder Herzoperation (Bypass Operation wegen Verengung der Herzkranzgefäße oder einiger anderer Eingriffe) schließt sich im typischen Fall eine Anschlussheilbehandlung (AHB) an. Diese erfolgt immer als stationäre Behandlung mit ständiger Überwachung und kontrollierter Übungstherapie. Für die erste Klimatherapie nach Herzinfarkt oder Herzoperation kommt für alle diese Maßnahmen die Nordsee wegen ihrer starken Klimareize nicht in Frage. Da für solche Patienten nur stationäre Maßnahmen angezeigt sind, werden diese hier nicht im einzelnen besprochen,
Kreislaufkrankheiten
Bei Kreislaufkrankheiten handelt es sich vor allem um Normabweichungen des Blutdrucks, also Bluthochdruck (arterielle Hypertonie) und Kreislaufschwäche mit Neigung zu niedrigem Blutdruck (arterielle Hypotonie). Bei letzterem kann Abgeschlagenheit und Müdigkeit, Schwäche und Schwindel bis zur Ohnmacht auftreten.
Grundsätzlich wird durch alle Kaltmaßnahmen der Blutdruck erhöht. Deshalb eignet sich die Nordsee nicht für Patienten mit hohem Blutdruck (Hypertonie) oder mit einer Gefäßverengung (Arteriosklerose). Bei einem so genannten labilen Hochdruck, also bei zeitweilig erhöhtem Blutdruck, ist eine Normalisierung denkbar; der Aufenthalt kann bei vorsichtigem Verhalten nützlich sein. Dazu gehören langsame Eingewöhnung in die besonderen klimatischen Bedingungen und langsame Steigerung aller Maßnahmen wie Spaziergänge, Luftbäder und Seebäder.
Erfahrungsgemäß fühlen sich ältere Menschen an der Nordsee sehr wohl, so dass die Formulierung "Paradies der Greise" entstanden ist. Die günstigsten Jahreszeiten sind Frühsommer und Spätsommer, also Juni und September.
Bei niedrigem oder bei Neigung zu niedrigem Blutdruck (Hypotonie) besteht dagegen eine ausgezeichnete Behandlungsmöglichkeit an der Nordsee. Diese funktionelle, aber doch unangenehme Störung ohne Krankheitswert betrifft vorwiegend ältere Mädchen und junge Frauen. Jede Anwendung von Kälte erhöht und stabilisiert den Blutdruck. Der Winter kommt daher in Betracht, bei durchschnittlicher Witterung auch der Sommer. Ungeeignet ist dagegen oft der Juni mit anhaltenden Strahlungsperioden mit viel Sonne, wenig Wolken und wenig Wind. Stets kommt es aber mehr auf das aktuelle Wetter als auf die Jahreszeit an. Bei der Durchführung der Klimatherapie ist deswegen auf die Ausnutzung der Abkühlungsreize zu achten. Langes Sitzen im Strandkorb mit Schutz vor Wind und Öffnung zur Sonne bewirkt gerade das Gegenteil. Nützlich hingegen sind Luftbäder auch bei kühlem oder kaltem Wetter und Seebäder vor allem bei niedrigen Temperaturen. Diese Maßnahmen strengen natürlich an. Betroffene Personen sind meist schlank bis mager, so daß ihre Neigung zur Auskühlung bei geringer Hautfaltendicke berücksichtigt werden muss. Selbstverständlich fördert Bewegung nach einem Seebad die Wiedererwärmung. Einzelne Personen benötigen jedoch zunächst für einige Minuten körperliche Ruhe. Auch nach einmaliger Klimakur bleibt die Neigung zu niedrigem Blutdruck weiter bestehen, so dass die Wiederholung der Maßnahme im folgenden Jahr sehr zu empfehlen ist. Demgegenüber sind Urlaube in der Sommerhitze des Südens ungeeignet.
Der Erfolg der Klimatherapie sollte durch Fortsetzung der Maßnahmen am Wohnort mit Kälteanwendungen stabilisiert werden. Am Morgen soll kalt geduscht werden: nach Bekömmlichkeit erst wann und dann kalt oder gleich kalt. Auch Saunabäder sind sehr geeignet und werden schon während der Kur angeboten. Man sollte sich aber vor Überanstrengung hüten. Dazu gehört Vorsicht in der heißen Sauna, besonders beim Aufrichten, Aufstehen und Hinausgehen. Nach dem Saunagang soll im Anschluss an die Körperreinigung ein kaltes Tauchbad nicht fehlen.
Vegetative Labilität (Vegetative Dystonie) und Rehabilitation nach schwereren Erkrankungen
Vegetative Dystonie ist keine fest umrissene Krankheit, sondern bezeichnet eine Fülle von Störungen. Ihnen ist die Fehlsteuerung durch das unbewusste (vegetative) Nervensystem an den inneren Organen und der Haut gemeinsam. Der niedrige Blutdruck spielt dabei eine wichtige Rolle. Mit der Rehabilitation werden Patienten nach verschiedensten schweren Krankheiten und nach Unfällen für Aufgaben des täglichen Lebens oder zur Berufsausübung wieder befähigt. Solche Patienten haben fast immer einen niedrigen Blutdruck, so dass oben genanntes auch hier gilt. Selbstverständlich müssen die vorausgegangene Krankheit oder der Unfall und insbesondere die Leistungsfähigkeit des Patienten bei der Auswahl der klimatherapeutischen Maßnahmen und deren Dosierung berücksichtigt werden. Da sich diese gut dosieren lassen, lässt sich das verträgliche Maß finden. Allein schon das Sitzen in kühler Luft kann Wunder bewirken.
Krampfadern
Für Krampfadern gibt es ein von Patienten erprobtes und bewährtes Verfahren; doch sollte vor seiner Anwendung unbedingt zuvor die Meinung eines Arztes eingeholt werden. Im seichten Wasser von Flutkante oder Watt laufen die Patienten oder bleiben an einer Stelle so lange stehen, bis die Beine langsam bis in Höhe der Krampfadern versinken. Durch die Bewegung und den Gegendruck des Wassers wird die Entleerung der Krampfadern gefördert, durch das kühle Wasser die Gefäßspannung verbessert.
Wetterfühligkeit
Die Wetterlage hat Einfluss auf Leistungsfähigkeit und Befinden. "Schönes Wetter" im Sommer sind Hochdruckwetterlagen mit Wärme, wenig Wolken und viel Sonne, ein "Postkarten Wetter". Diese Wetterlage kann aber auch Trägheit, Lustlosigkeit und sogar Reizbarkeit verursachen. Das ist leicht an Reibereien zwischen Müttern und ihren kleinen Kindern zu erkennen. Diese Wetterlage ist an der See selten.
Dagegen zeigt das an der Küste im Sommer vorherrschende "gute Wetter" weniger Wärme, dafür Seewind und mehr Wolken mit sonnigen Aufheiterungen. Das ist das erholsame Wetter und die Wetterlage, die die Wetterfühligkeit vermindert: Abkühlungsreize, kalte Luftbäder und kalte Seebäder, Bewegung und Sport im kühlen Wind stabilisieren den Kreislauf und bauen die vielfältigen vegetativen und funktionellen Symptome zuverlässig und zügig ab. Zu Hause sollten die Abkühlungsreize fortgesetzt werden (kaltes Duschen, Sauna).
Weitere Erkrankungen
Frauenleiden
Wenn auch Frauenleiden als Heilanzeigen für die Thalassotherapie weniger bekannt sind, werden doch einige Krankheiten an der See mit gutem Erfolg behandelt. Unterfunktion der Eierstöcke (ovarielle Insuffizienz), Regelanomalien (Menstruationsstörungen) und Unterentwicklung auf funktioneller Grundlage können durch die stärkeren Reize der Nordsee beeinflusst werden. Je jünger die Frau ist und je kürzer die Störung besteht, desto eher kann mit einer Normalisierung gerechnet werden. Das gilt auch für neurovegetative Beschwerden. Eine Schilddrüsenüberfunktion (Thyreotoxikose) muss vorher ausgeschlossen sein. Chronische Entzündungen der Genitalorgane mit Verklebungen und Narbenbildungen sollen möglichst bald nach Abklingen der akuten Entzündungen den Reizen des Nordseeklimas ausgesetzt werden. Verwachsungen dürfen noch nicht so fest sein, dass sie nicht mehr zu beeinflussen sind. Geschwülste und Infektionskrankheiten müssen ausgeschlossen sein. Dies erfordert die genaue fachärztliche Beurteilung. Sterilität bei Frauen kann viele Ursachen haben. Bei vegetativer Unterfunktion der Eierstöcke, Zyklusstörungen, Unterentwicklung der Genitalorgane auf funktioneller Grundlage, nach Entzündungen und bei neuro vegetativen sowie psychovegetativen Störungen kann sie an der Nordsee erfolgreich behandelt werden. Gutartige und bösartige Geschwülste müssen vorher ausgeschlossen werden.
Beschwerden im Klimakterium stellen in gewisser Hinsicht ein Gegenstück zu denjenigen junger Frauen mit hormonellen und nervösen Störungen dar. Eine abgestufte Thalassotherapie kann Erfolge bringen. Fachkundige Betreuung ist aber auf jeden Fall notwendig. Senkungen der Unterleibsorgane und Erschlaffungen im Bereich der Bauchdecke können (neben einer Behandlung mit Krankengymnastik und Bewegungsbädem) durch eine Kur an der See gebessert werden. Brandungsbäder und Schwimmen bieten gute Voraussetzungen zur Lösung von Verkrampfungen und Verspannungen sowie zur Kräftigung und Straffung von erschlafftern Gewebe.
Schwangerschaften
Schwangerschaften sind weder eine Anzeige noch eine strenge Gegenanzeige für einen Aufenthalt an der See, sie erfordern jedoch besondere Rücksicht.
Rheumatische Krankheiten
Rheuma wird als Sammelbegriff für sehr viele verschiedene Krankheiten der Gelenke, Sehnen, Bänder und der Muskeln verwendet. Unter diesen sind eine Reihe von chronischen Leiden, die an der See gebessert werden können. Die entsprechende Diagnose muss zuvor am Heimatort gestellt werden, damit die Heilanzeige bestätigt werden kann. Zunächst ist zwischen entzündlichen und degenerativen Leiden (Abnutzung und Verschleißerscheinungen der Gelenke) zu unterscheiden. Degenerative Gelenkerkrankungen können an der See erfolgreich behandelt werden, besonders in solchen Seebädern, in denen eine Wärrnetherapie mit Schlick oder Moor durchgeführt werden kann. Außerdem sollte das Seebad einen weichen und weiten Strand für Spaziergänge bieten. Die allgemeine Roborierung kann das Befinden und die Leistungsfähigkeit bessern. Bei chronischen Gelenkleiden dürfen keine Komplikationen oder weitere Krankheiten wie Herz Kreislauf Krankheiten oder Bandscheibenvorfall bestehen. Alle entzündlichen Gelenkerkrankungen wie primär chronische Polyarthritis oder Infektarthritis sind grundsätzlich ungeeignet. Nach einem rheumatischen Fieber sollen mindestens zwei bis drei Jahre vergangen sein. Bei allen anderen Krankheiten aus dem rheumatischen Formenkreis ist kein spezieller Nutzen zu erwarten, so dass diese nicht als Indikationen gelten.
Unfallfolgen
Nach Unfällen können Restbefunde verbleiben, die mit den Indikationen der rheumatischen Krankheiten vergleichbar sind. An der See, Ostsee wie Nordsee, sind Strandwanderungen wegen des weichen Bodens oft bekömmlich, Bewegungsbäder in Kurmittelhäusern mit dem stärkeren Auftrieb des Nordseewassers erleichtern die Lockerung und Kräftigung der Gliedmaßen. Wärmebehandlung mit Schlickpackungen vor den Bewegungsübungen ist oft sehr nützlich. Bei Muskelschwund durch Bewegungsmangel (Muskelatrophie) kann allein durch Sonnenbäder die Muskulatur nachweisbar gekräftigt und durch den Wind die Durchblutung angeregt werden. Diese Möglichkeit wird zu selten genutzt.