Pharmakologische Wirkung von Meerwasser



 Meerwasser

Pharmakologische Wirkung von Meerwasser

(von Dr. Eva-Maria Brunschweiger)

1. Dermatologie
Die heilsame Wirkung von Meerwasser auf wunde Haut ist schon im Altertum bekannt gewesen und wurde u. a. von Galen und dem römischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus beschrieben. Der Beginn einer wissenschaftlich begründeten Balneotherapie wird auf das Jahr 1959 mit der Behandlung von Psoriatikern am Toten Meer datiert. Teilaspekte des pharmakologischen Wirkungsmechanismus wurden erst in den letzten Jahren aufgeklärt. Aus der Vielzahl der Publikationenwird hier eine kurze Zusammenfassung gegeben. Bei der Psoriasis handelt es sich um eine chronischeentzündliche Hauterkrankung, die verschieden schwer ausgeprägt sein kann. Sie wird in Verbindung gebracht mit Gendefekten, dazu kommen aber noch Auslöser wie z. B. Stress, Infektionen oder Verletzungen. Ihre Symptome, wie Hautjucken, Rötung und Schuppung der betroffenen Hautareale, beeinträchtigen die Lebensqualität der Patienten oft sehr. Sie werden verursacht durch eine überschießende Immunreaktion des Körpers gegen Keratinozyten in der Oberhaut. Die Keratinozyten reagieren darauf mit exzessiver Zellteilung. Im Einzelnen hat man festgestellt, dass in der Haut Erkrankter verschiedene Immunzellen, wie TH1-Lymphozyten, Neutrophile Zellen und ATPasepositive Langerhans-Zellen die Immunreaktion vermitteln. Sie tun dies durch eine ganze Reihe von Botenstoffen: Proteine, wie TNF-a, IL-1a, IL-6, Produkte aus dem Arachidonsäurestoffwechsel, die z. B. durch Enzyme, wie die 5-Lipoxygenaseoder die Phospholipase-A2 gebildet werden. Auch halten die Immunzellen die Entzündung in Gang, indem sie die gewebeschädigenden Proteasen Kathepsin und Leukozytenelastase bilden. Das Krankheitsgeschehen scheint auch aufgrund eines relativen Mangels an Magnesium, einem generell die Aktivität von Zellendämpfenden Faktor, in der Haut fortzuschreiten. Eine Heilung der Psoriasis ist bisher nicht möglich, aber wie eingangs erwähnt, wird die Balneotherapie mit gutem Erfolg gegen die Symptome der Krankheit eingesetzt und kann so die Lebensqualität der Patienten verbessern helfen. Die Wirkung von Meerwasser wird durch seine Salzzusammensetzung erklärt, im Mittelpunktstehen hier Magnesium, Strontium und Selen. Meerwasser zeichnet sich durch einen hohen Magnesiumanteil in seinem Salz aus. Man weiß heute, dass sich Magnesiumionen an Bestandteile von Keratinozyten binden. Mithilfe der Röntgenfluoreszenzanalyse wurde nachgewiesen, dass nach einem Meerwasserbad, z. B. im Toten Meer, die Magnesiumkonzentration in der Epidermis um das 22-fache angestiegen ist. Die magnesiumhaltige Sole ruft bei der Balneophototherapie über eine Verminderung der ATPase-positiven Langerhans-Zellen und über eine Hemmung des Enzyms 5-Lipoxygenase in polymorphkernigen Neutrophilen folgende Wirkung hervor: sowohl Leukotrien-4 als auch 5-Hydroxyeicosatetraensäure- zwei wesentliche Akteure im entzündlichen Geschehen - werden vermindert gebildet. In Abhängigkeit von der Salzkonzentration nimmt auch die Mitoserate der Basalzellschicht ab, d. h. es kommt zu einem antiproliferativen Effekt. Bereits 1992 beschrieben Dietzel und Mitarbeiter die auf diesen Erkenntnissen beruhende Wirkungsweise von magnesiumhaltigen Solen zur Behandlung entzündlicher Hauterkrankungen. Magnesiumsalze scheinen sowohl die entzündungsfördernde Aktivität von Immunzellen (Leukozyten) als auch die Produktion von Entzündungsmediatoren zu hemmen. Hohe Magnesiumionenkonzentrationen vermögen Kalziumionen von ihren spezifischen Bindungsorten zu verdrängen. Da sowohl die Phospholipase-A2 für die Arachidonsäurefreisetzung als auch Lipoxygenasen Kalzium als Kofaktor benötigen, kommt es über die Verdrängung von Kalzium- durch Magnesiumionen zur kompetitiven Hemmung dieser Enzyme und damit auch zur Senkung der von ihnen produzierten proinflammatorischen Botenstoffe. Darüber hinaus wurde nachgewiesen, dass Magnesiumionen die Entzündung beider allergischen Kontaktekzemreaktion hemmen kann. Schempp und Mitarbeiter stellten fest, dass Magnesiumsalze ähnlich wie UVB-Bestrahlung signifikant die Antigenpräsentation der Langerhans-Zellen der Haut sowie die der humanen Leukozytenantigene (HLA-DR), welche unter anderem bei der Abstoßung körperfremder Zellen (Transplantatabstoßung) eine entscheidende Rolle spielen, unterdrücken. Sie fanden weiterhin, dass Magnesiumsalze in-vitro die Produktion von TNF, einem wichtigen entzündungsfördernden Peptid, in epidermalen Zellen hemmen. In einer 1994 begonnenen Studie, dem Erprobungsmodell „Ambulante Balneo-Phototherapie (Kieler Modell)“, an der sich über 500 Kliniken und niedergelassene dermatologische Praxen beteiligten, wurde eine signifikante Besserung bei Ekzemund Psoriasis-Patienten nachgewiesen. Im Rahmen dieser Studie konnten Wiedow und Mitarbeiter zeigen, dass ganz erhebliche Mengen an humaner Leukozytenelastase und Kathepsin (im wesentlichen aus neutrophilen Granulozyten stammenden Proteinasen) durch Baden in Solelösungen in vivo aus psoriatischen Effloreszenzen herausgelöst werden. Solebäder bewirken also eine Extraktion dieser entzündungsfördernden und gewebeschädigenden proteolytischen Enzymen. In Kombination mit UVB-Bestrahlung tritt ein synergistischer Effekt ein: der erneute leukozytäre Einstrom in die Epidermis wird vermindert und die vorhandenen leukozytären Proteinasen durch Solebäder herausgelöst. Während in dem „Kieler Modell“ Bäder mit einem hohen Salzgehalt von teilweise 15 Prozenteingesetzt werden, belegen die Arbeiten von H. Tronnier und Mitarbeitern, dass sehr viel niedrigere Salzkonzentrationen zu einem vergleichbarguten Ergebnis führen. Darüber hinaus stellte Tronnier im Rahmen der Balneo-Phototherapie fest, dass durch die Kombination von Solebädern und UV-Licht (der für die Psoriasiswirksame Bereich liegt zwischen 300-320 nm 62) eine erhebliche UV-Dosiseinsparung von ungefähr 50 Prozent bei Erzielung desselben therapeutischen Effekts bewirkt wird. Diese Ergebnisse werden in einer breit angelegten Vergleichsstudie von drei bis fünf prozentigen Solebädern plus UVA/B versus UVA/B-Monotherapie bei Patienten mit subakuter atopischer Dermatitis durch H. C. Dittmar und Mitarbeiter bestätigt. Neue Untersuchungen von Y. Yoshizawa und Mitarbeitern aus San Francisco, Kalifornien weisen die gute Wirksamkeit von Meerwasser bei Kontaktdermatosen oder atopischer Dermatitis nach. Als Wirkungsmechanismus wird eine Verbesserung der Funktion der Hautbarriere insbesondere durch die im Meerwassergelösten Na+, K+ und Cl-Ionen diskutiert. Ein signifikant positiver therapeutischer Effekt auf entzündliche Hauterkrankungen wird weiterhin den im Meerwasser vorhandenen Strontium- und Selensalzen zugeschrieben. Mithilfe eines rekonstituierten Hautmodells wiesen P. Celerier und Mitarbeiter durch in-vitro-Untersuchungen nach, dass diese beiden Ionen die Produktion der Cytokine IL-1a, TNF-a, IL-6 senken und damit insgesamt einen dämpfenden Einfluss auf das entzündliche Geschehen ausüben. Selen spielt als Bestandteil des Enzyms Glutathionperoxidase eine wichtige Rolle als Schutz vor zellschädigendem oxidativen Stress. A. Serwin und Mitarbeiter untersuchten die Beziehung zwischen der Plasma-Selenkonzentration und Glutathionperoxidase-Aktivität und der Dauer und Schwere einer Psoriasiserkrankung. Sie fanden, dass die Glutathionperoxidase-Aktivitätum so geringer ausfällt, je schwerer die Symptome der Psoriasis ausgeprägt sind. Auch ist die Plasma-Selenkonzentration bei länger als drei Jahre Erkrankten entsprechend der Schwere des Krankheitsbildes signifikant erniedrigt. Das in Meerwasser gelöste Selen vermag den Mangel abzumildern und so die Widerstandsfähigkeit der Haut gegen oxidativen Stress zu erhöhen. Ein sehr wichtiges Symptom bei vielen entzündlichen Hauterkrankungen ist das Jucken, das erheblichen Leidensdruck schafft und häufig den Krankheitsverlauf verschlimmert, da die Patienten, um sich Linderung zu verschaffen, noch zusätzlich die betroffenen Hautareale durch Kratzen verletzen. Dieses Symptom wird gelindert durch Strontiumsalze, die im Meerwasser mengenmäßig hinter Natrium-, Magnesium-, Kalium- und Kalziumsalzen am meisten vertreten sind. S. Gary und Mitarbeiter stellten durch interessante randomisierte Doppelblinduntersuchungen fest, dass Strontiumsalze die durch Reizung von Nozizeptoren hervorgerufenen sensorischen Irritationen der Haut wie Brennen, Jucken oder Stechen sowie Hautreizungen unterdrücken. Der Wirkungsmechanismus von Strontiumionen und insbesondere ihre selektive Wirkung auf sensorische Nerven ist noch nichteindeutig geklärt. Aber man diskutiert aufgrund ihrer chemischen Verwandtschaft mit Kalziumionen, dass sie in der Lage sind, Kalzium partial zu blockieren.


2. Rheumatische Erkrankungen
Osteoarthritis ist eine häufig auftretende und heterogene Erkrankung. Wenn ein chirurgischer Eingriff nicht in Frage kommt, werden üblicherweise symptomatische Arzneimittel wie Analgetika oder nichtsteroidale Antirheumatika eingesetzt, wobei oft eine Dauertherapie erforderlich ist. Dies ist mit einer Zunahme schwerer Nebenwirkungen verbunden und erklärt, warum manche Patienten andere Therapieformen bevorzugen. Die Verwendung von Meerwasser in der Rheumatherapie ist so alt wie die Geschichte der Medizin. Kurort-Therapien (Badekuren) werden häufig in der täglichen Rheumapraxis angewendet, aber die wissenschaftliche und statistische Auswertung ihres Nutzens wird erst seit ungefähr1990 in der Literatur beschrieben. Experimentelle Untersuchungen, welche die kutane Passage verschiedener gelöster Mineralien oder deren Wirkung auf die inneren Organe demonstrierten, sind nicht geeignet, den therapeutischen Effekt bei rheumatischen Erkrankungen nachzuweisen. Einzig klinische Studien können als Basis für statistische Auswertungen herangezogen werden. In vielen Untersuchungen bemühte man sich, den therapeutischen Nutzen von Badekuren zur Behandlung rheumatischer Erkrankungen zu evaluieren. Jedoch sind die meisten Ergebnisse aus den verschiedensten Gründen weder nachvollziehbar noch interpretierbar: mangelhafte Ausbildung von Ärzten im Fach Balneo-Therapie, unterschiedliche Badekur-Tradition in den einzelnen Ländern, Differenzen bei der experimentellen Durchführung und den Wünschen der Patienten, retrospektive Auswertung von Studien, die mit methodischen Fehlern behaftet sind usw. Lediglich zwei randomisierte kontrollierte Studien, die analog den klinischen Studien an Arzneimitteln durchgeführt wurden, sind bemerkenswert: Die Untersuchung von O. Elkayam etal. aus dem Jahr 1991 beweist die kurz- und mittelfristige Überlegenheit von Meerwasserbehandlungen bei rheumatischer Polyarthritis sowie Arthrose. Die zweite Studie aus dem Jahr 1994, publiziert von F. Guillemin et al., dokumentiert die größere Wirksamkeit von Badekurengegenüber der konventionellen Therapie kurzfristig, aber auch in einer Langzeitstudie nach neun Monaten. M. Nguyen et al. publizierten 1997 im British Journal of Rheumatology aufgrund der bis dahin vorliegenden dürftigen Ergebnisse eine breit angelegte Studie zur statistischen Absicherung der Wirksamkeit von Meerwasser bei der Therapierheumatischer Erkrankungen. Ihre 1993 in Vichy (Frankreich) angefertigte Studie weist eindrucksvoll die positive Wirkung bei der Therapieentzündlicher wie z. B. rheumatoider und psoriatrischer Arthritis oder der nichtentzündlichen Osteoarthritis nach. Die randomisierte kontrollierte Studie wurde an 188 Patientendurchgeführt: 91 wurden mit der herkömmlichen Kurort-Therapie (Meerwasserbäder) und 97 als Kontrollgruppe mit der konventionellen Therapie (Analgetika, nichtsteroidale Antirheumatika) behandelt. Beurteilungskriterien waren Schmerzintensität, funktionale Beeinträchtigung, Verbesserung der Lebensqualität und der Arzneimittelverbrauch. Das Ergebnis dieser Studie zeigte eine statistisch signifikante Verbesserung sowohl nach vier Wochen als auch - dies ist besonders wichtig - nach einem Zeitraum von 24 Wochen in der Kurort-Gruppe,die mit Meerwasserbädern behandelt wurde. Die Kontrollgruppe, die mit symptomatischen Antirheumatika behandelt wurde, wies keine gesundheitliche Verbesserung gegenüber dem Anfangsstadium der Versuchsreihe auf. Dieses Ergebnis deckt sich mit früheren Beobachtungen von F. Guillemin et al.. 


3. Atemwegserkrankungen
Bei Vorliegen chronischer Atemwegserkrankungen wie z. B. Bronchitis, Tracheitis, Laryngitis, Rhinitis oder Pharyngitis sind Meerwasserinhalationen indiziert. Ihre Salzkonzentration (hypertonisch, isotonisch oder hypotonisch) richtet sich nach der Indikation und Verträglichkeit. Meerwasserinhalationen werden als Einzelinhalation oder als Raumvernebelung (Ultraschall oder Düsenpressluftvernebelung) mit einer Temperatur von ca. 37° C und einer Teilchengröße von < 1 bis ungefähr 20 μ m angewendet. Der meist positiven Empirie stehen nur vereinzelte wissenschaftliche Untersuchungen gegenüber. G. Evers und H. Jungmann berichteten detailliert über die Wirkung von Ostseewasser mit einem isotonischen Salzgehalt auf die Atemwege. Fischer konnte nachweisen, dass eine sechstägige reine Meerwasserinhalation bei Patienten mit Gräserallergie eine hochsignifikante protektive Wirkung für eine spezifische nasale Provokation ausübt. Für die osmotische Wirkung der Meerwasserinhalationen ist die Gesamtkonzentration der gelösten Salze maßgeblich. Sie wirken, wie E.-G.Schulze beschreibt, je nach Salzkonzentration: Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass unabhängig vom pH-Wert und osmotisch wirksamer Salzkonzentration auch die chemische Zusammensetzung des inhalierten Meerwassers insbesondere für die Wirkung auf die Ziliarfrequenzmaß gebend sein kann. Der Effekt beruht auf lokal-biochemischen Reaktionen. So wird dem Natrium- und Kaliumanteil eine hyperämisierende, sekretionssteigernde und expektorationsfördernde Wirkung zugeschrieben. Von den Kalzium-Ionen ist eine entquellende, zellabdichtende, antiallergische und phagozytosesteigernde Wirkung zu erwarten, während Magnesium-Ionen spasmolytisch wirken. Die therapeutische Wirksamkeit von Inhalationskuren beruht vor allem auf den normalisierenden und regularisierenden Langzeiteffekten auf das mukoziliare System und die bronchiale Reagibilität. So werden z. B. entzündliche Vorgänge günstig beeinflusst, bakterielle Prozesse gehemmt, die Schleimproduktion normalisiert oder die optimale Funktion des Flimmerepithels wieder hergestellt.


Zusammenfassung
Im Zeitalter der modernen Apparatemedizin und Therapie mithochwirksamen Arzneimitteln hat der Einsatz von ortsgebundenen Heilmitteln seinen Stellenwert behalten. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist Meerwasser vorzugsweise zur Behandlung chronischer Erkrankungen der Atemwege, des rheumatischen Formenkreises und der Haut (Psoriasis, Neurodermitis, atopisches Ekzem, Allergien) geeignet. Die aktuellen Erkenntnisse über die pharmakologische Wirkung weiterer ortsgebundener Heilmittel aus Schleswig-Holstein (Schlick, Schwefel-Jod-Magnesium-Sole) liegen ebenfalls vor.

Verfasserin: Dr. Eva-Maria Brunschweiger, Fachapothekerin für pharmazeutische Analytik, Beselerallee 8, 24105 Kiel, Internet: www.hlkl.de, E-Mail info@hlkl.de 

Literatur bei der Verfasserin

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